Sende aus deinen Geist

Pfingsten

In den kommenden Tagen bis Pfingsten möchten wir Sie mit Gedanken zum Heiligen Geist begleiten. Wir beten um die Erneuerung unseres Glaubens, unserer Gemeinschaft, unserer Kirche.

Samstag 30. Mai

„Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2.Tim 1,7)

eine Pippi Langstrumpf

Pfingsten erinnert diese Welt daran, dass es Inspiration gibt. Unverfügbare Wirkmacht. Widerstandskraft. Stimme. Feuer und Funken, die verwandeln. Aus einer anderen Dimension. Sie beschenkt mit Gaben, die mit Geld nicht zu kaufen sind. Begnadet werden wir von ihr, in gnadenloser Zeit. Sie verbindet über die Grenzen von Geschmack, Kulturen und Sprachen hinweg. So schafft sie Kirche, nicht den Apparat, sondern die starke Gemeinschaft, die Jesus dient. Die sich einig seiner Idee vom Leben hingibt, von Liebe und Gerechtigkeit.

Ich persönlich stelle mir die Heilige Geistkraft am liebsten vor als eine Pippi Langstrumpf. Wenn ich verzagt bin, allzu angepasst oder mich klein fühle, schickt sie diesen „Annika Seiten“ in mir Besuch von nebenan vorbei. Sie ist die Nachbarin aus der Villa Kunterbunt, die mich in eine andere Welt lockt. Sie ist die Stimme, die mich ermutigt, meine Stimme zu nutzen. Die mich auffordert, beherzt zu sein. Die mich mitreißt, die Welt zu verändern, zu beschenken und neu zu sehen. Sie schürt die Hoffnung, wenn mein Herz müde ist. Sie beschenkt mich mit den kühnsten Träumen und mit dem Mut sie zu verwirklichen. Sie ist die Kraft, die ich nie beweisen könnte, die mich aber trägt.

(Christina Brudereck)

Vor 75 Jahren veröffentlichte Astrid Lindgren die Geschichte von Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf. Seither ist Pippi kaum gealtert und begeistert nach wie vor Millionen Leser.

Am Himmelfahrtstag war der Spielfilm über das Leben Astrid Lindgrens im Fernsehen zu sehen.
Am Ende des Films ist das folgende Lied zu hören:

„Springen, trau dich zu springen
durch den Tod, hinein in das Leben.
Springen, trau dich zu springen
durch das Dunkel, hinein in das Licht.
Nutze die Gelegenheit zu leben.
Nimm dir,
fühle den Sommer, er gehört dir.
Nutze die Gelegenheit zu leben, mach einen Schritt nach vorne
oder nach hinten, wenn du willst.
Nutze die Gelegenheit zu leben, stehe mitten drin
begegne den Stürmen mit einem Schrei.
Springen, trau dich zu springen
durch den Tod, hinein in das Leben.
Springen, trau dich zu springen
durch das Dunkel, hinein in das Licht.
Springen, trau dich zu springen
durch den Tod, hinein in das Leben.
Springen, trau dich zu springen
über den Abgrund, hinein in die Gefahr.“

In jedem Leben gibt es Momente, in denen man springen muss. Dafür braucht es Mut, Mut ausgetretene Pfade zu verlassen, vielleicht Irrtümer einzusehen, neu anzufangen und ein Risiko einzugehen. Pfingsten erinnert uns daran, dass wir in diesen Momenten Gott als Motivator an unserer Seite haben. Der Heilige Geist, der sagt: Trau dich. Es gibt deutlich mehr zu gewinnen als zu verlieren.

„Der Heilige Geist ist ein unermüdlicher, sanfter Arbeiter, der sich vor allem damit beschäftigt Menschenherzen zu wenden. Er belebt sie, wenn sie erstarrt sind, erschöpfte Herzen lässt er Feuer fangen, harte Herzen bewegt er zur Einfühlsamkeit, schwere beflügelt er mit frischer Kraft. Oft geschieht das nicht plötzlich, sondern braucht seine Zeit. Manchmal spürst du: Etwas ist anders als vorher. Und es ist gut.“

(Tina Willms)

Jetzt, Herr, sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Antlitz der Erde erneuern!

Allen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest!
Pfingstgruss

⟩ Pfingstgruss des Dekanats von Josef Dieste (Dechant)

Freitag 29. Mai

„Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ (Lk.1,35)

nichts zu sehen

Nichts zu sehen, nichts zu berühren.
Keine Krippe, kein Kreuz, kein Grab.
Anders als Weihnachten und Ostern. Ganz anders!
Stattdessen „vergeistigt“.
Pfingsten erzählt von begeisterten Menschen.
Zumindest am Anfang. Voll des Geistes.
Alle anderen kirchlichen Feste bleiben äußerlich,
wir schauen, hören, fühlen,
aber Pfingsten ist innerlich.
Wir feiern, dass der Hl. Geist im Menschen lebt und wirkt.
Wir können uns nicht heraushalten.

Pfingsten ist ein weibliches Fest.
Es ereignet sich, wo Menschen Empfangende sind,
wo sie die Geisteskraft in sich hineinlassen.
Genau der hl. Geist, der Maria überschattet hat,
weht und wirkt.
Kraft aus der Höhe.
Nicht wir müssen hinauf, Gott kommt herunter.
Immer wieder.
So sehr uns die Erfolgsleitern und die Siegertreppchen reizen,
so gut es tun kann, über sich selbst hinaus zu wachsen,
so sehr die Geschichte vom Turmbau zu Babel,
vom Drang, sich selbst in den Himmel hinauf zu hieven, Menschengeschichte bleibt:
was wirklich wichtig und entscheidend ist, empfangen wir:
das Leben, die Liebe und die Kraft aus der Höhe.
„Veni sancte spiritus“ singen und beten wir darum:
Komm, Heiliger Geist,
mit dem gleichen Wort, wie wir im Advent flehen:
Veni Emmanuel, komm, Heiland aller Welt.

Nicht wir kommen zu Gott; Gott kommt zu uns.
Nicht wir machen uns auf, Gott macht sich auf.
Das ist die Botschaft des Christentums,
die Botschaft vom kommenden Gott,
die Einsicht, dass wir von Ihm aufgefunden und für gut befunden werden,
nicht aufgrund von Verdiensten, sondern aufgrund Seiner Liebe.
Das ängstliche Grüppchen der Jüngerinnen und Jünger Jesu
wird nicht lebhaft, weil sie es sich vornehmen –
sie gehen aus sich heraus, weil es sie drängt,
weil sie sie drängt, die Geisteskraft.

Pfingsten ist nicht nur ein weibliches Fest, weil die Menschen Empfangende sind.
Pfingsten ist auch ein weibliches Fest,
weil im Hebräischen, der Sprache Jesu und der Bibel,
unser Wort Geist, Gottes Geist, Hl. Geist (hebräisch: „Ruach“) weiblich ist.
Der hl. Geist ist kein in uns fallender Same,
er ist Kraft und Drang, Energie und Kreativität.

Der von Jesus als guter Vater nahegebrachte Gott,
der hl. Geist, die weibliche dritte göttliche Person:
in Gott sind alle Gegensätze aufgehoben:
groß und klein, allmächtig und ohnmächtig, Frau und Mann.
Oder anders gesagt: Gott ist weder Frau noch Mann,
alle, wirklich alle unsere Vorstellungen werden gesprengt.
Wir feiern nicht so sehr, wie Gott ist,
wir feiern vor allem Seine Wirksamkeit.
Auf die kommt es an, viel mehr als auf unsere Rufe und Anrufe.

Wenn wir rufen, wenn wir flehen: Veni, Komm,
dann ist unser Rufen vor allem ein Ausrichten, Ausdruck unseres Wartens, Zeichen unserer Verwiesenheit.
Wir müssen, wir können Gott nicht herbei rufen,
Er kommt, weil Er kommen will, weil Er der Kommende ist.

Veni – Komm – der ureigene und wesentliche Ruf des Glaubenden.

(Bernd Mönkebüscher)

Komm, Heiliger Geist!
komm!
füll mich!
gib mir Kraft!
schenk mir Mut!
setz mich in Brand!
lass das Wasser des Lebens sprudeln!

gieße aus deinen Geist!

nimm meine Angst
nimm meine Sprachlosigkeit
nimm mein Zaudern
nimm meine Unsicherheit
nimm meine Einsamkeit

nimm mich
und gib mir
unendliche Sehnsucht

Komm, Herr, sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern!

Donnerstag 28. Mai

„Gott ist Geist; wo aber der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3,17)

Woher nur den Mut nehmen

In diesem Jahr erinnern wir uns an das Ende des zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren. Noch in den letzten Kriegstagen wurden auf direkten Befehl Adolf Hitlers viele Gegner der Nationalsozialisten hingerichtet. Unter ihnen war auch Pater Alfred Delp, der am 3. Februar 1945 gehängt und dessen Asche über den Rieselfeldern Berlins zerstreut wurde. Nichts sollte mehr an ihn erinnern.

Kurz vor seinem Tod schrieb er mit gefesselten Händen einen Brief an sein Patenkind, und am Ende dieses Briefes heißt es:
„Diese gefesselten Hände vermach ich dir nicht, aber die Freiheit, die die Fesseln trägt und in ihnen sich treu bleibt, die sei dir schöner und zarter und geborgener geschenkt.“

Ein Jahr zuvor hatte Pater Alfred Delp in seiner Pfingstpredigt die Jünger, aber auch die Menschen im Blick, deren Leben angesichts der Kriegssituation von Angst, Einsamkeit, Nervosität, vielleicht sogar Panik bestimmt waren. Woher nur den Mut nehmen? Alfred Delp sagte, dass in unserer „innersten Mitte der Glanz des gegenwärtigen Gottes ist, (...) ihr göttliche Intensität gibt und den Menschen in eine Lebensfülle hineinreißt, die er nicht ahnen konnte.“

“Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern weil Gott es mit uns lebt.” Einer der bekanntesten Sätze Alfred Delps.

Als am 11. Januar 1945 seine Gerichtsverhandlung vor Roland Freisler stattfand, da hatte er im Gefängnis zuvor ganz heimlich Eucharistie gefeiert und ein Stück der Hostie mit in den Gerichtssaal genommen. Daran hielt er sich während der ganzen Verhandlung fest. „Obwohl ich vom ersten Wort an wusste, ich falle“, schrieb er später, „habe ich mich keinen Moment unterlegen gefühlt. Das war jenseitige Kraft.“

Jenseitige Kraft, innere Freiheit - daraus wachsen Mut und Kraft, für seine Überzeugungen ein- und aufzutreten.

Alfred Delp sagte in seiner Pfingstpredigt 1944: „Es braucht nur dies: des Menschen Herz muss sich auftun. Das ist das erste, dass der Geist die Verschlossenheit und Enge aufsprengt und die Verliebtheit zu sich selber.“

„Gott ist Geist; wo aber der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3,17)

Die Frauen und Männer, die dem Rabbi gefolgt sind, haben sich eingeschlossen. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben ... Sie verharrten dort einmütig im Gebet.

Dort, wo er mit ihnen das Brot geteilt hatte. Aber so innig sie auch beteten: Der Schmerz ebbte nicht ab. Und so nah sie auch zusammenrückten: Die Lücke blieb, die sein Tod in ihr Sein gerissen hatte. Einige waren in ihr altes Leben zurückgekehrt, hatten wieder die Hand an den Pflug oder an das Netz gelegt und spürten doch gleichzeitig, dass es nicht ging. Und die anderen, sie, die übrig geblieben waren, blieben beisammen, um die Angst nicht noch größer werden zu lassen. Sein Ende war das Ende ihres Traumes gewesen, war das Ende von allem gewesen.

Was sollte nun werden? – Hier drin waren sie in Sicherheit. Aber hatte er dafür gelebt, und war er dafür gestorben? Dann mehrten sich die Nachrichten von der Auferstehung des Rabbi. Es gab Zeuginnen und Zeugen, und die Hoffnungslosigkeit bekam Risse. Und all das, was sie mit dem Rabbi erlebt und durch ihn erfahren hatten, konnte doch nicht umsonst gewesen sein. Und dann war da dieser Auftrag, den er ihnen erteilt hatte. Und so nahm der eine dem anderen von seiner Angst, und so steckte die eine die andere mit ihrem Mut an. Es war wie ein Funke, der übersprang, wie ein Feuer, das sie neu entflammte, wie ein Sturm, der sie erfasste und die Türen und Fenster weit aufstoßen ließ. Eine Kraft, die aus dem Obergemach hinaus und hinein in die Gassen, zu den Menschen dieser Stadt trieb. Eine Kraft, die nicht aus ihnen selber kam, sondern ihnen aus irgendwelchen Himmelsfenstern zufiel.

Als verängstigte Einzelgänger hatten sie sich im Obergemach vergraben, als selbstbewusste Gemeinschaft verließen sie nun den Raum – mit neuen Herzen und neuem Geist.

Niemand jammerte mehr, dass sie nur wenige waren. Und niemand lamentierte länger, dass sie nichts tun konnten. Nein. Und dann fingen sie zu erzählen an von ihrem Meister, von dem, was sie von ihm gehört und von ihm begriffen hatten. Wie frischer Wind fühlte sich die neue Gemeinschaft, die neue Nachfolgegemeinschaft an, wie Feuer, das nach ihnen gegriffen hatte. Und die, die sie hörten, verstanden und wurden selber ergriffen. Wie frischer Wind fühlte sich die neue Gemeinschaft, die neue Nachfolgegemeinschaft an, wie Feuer, das nach ihnen gegriffen hatte. Und die, die sie hörten, verstanden und wurden selber ergriffen. Gemeinschaft!
(Jaqueline Keune)

Komm, Herr, sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Pfingsten

Mittwoch, 27. Mai

„So wurden sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und fingen an, in fremden Sprachen zu reden, jeder so, wie der Geist es ihm eingab.“ (Apg. 2,4)

Pfingsten oder Gott immer wieder neu zur Sprache bringen

„Komm, Heiliger Geist, zündende und begeisternde Kraft Gottes! Wir brauchen dich!“ denke, bete ich oft. „Du musst jetzt kommen!“ Seit 2000 Jahren verkündet die Kirche eine froh machende Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes. Doch im Laufe der Zeit hat sich eine dicke Staubschicht auf die kirchliche Sprache gelegt. Dabei geht es um das gesprochene und gesungene Wort im Gottesdienst, um kirchenamtliche Verlautbarungen und die Alltagssprache in unseren Gemeinden. Viele Worte gehen ins Leere, sind Worthülsen, fromme Floskeln, angelernte Katechismussätze und ermüdende, langweilige Wiederholungsschleifen, die mit uns und unserem Leben nichts zu tun haben.

Keine Fremdwörter sind die Schätze unseres Glaubens – wie zum Beispiel „Erlösung“, „Gnade“, Reich Gottes“, „Auferstehung“, „Ewiges Leben“. Doch werden sie heute noch verstanden?

Komm, Heiliger Geist! Sorge in unserer Kirche für ein neues Sprachwunder, von dem die Apostelgeschichte (2,1-11) erzählt. Am ersten Pfingstfest beginnen die Freunde und Freundinnen Jesu – von der Kraft Gottes gepackt – geistreich, wortgewandt, glaubwürdig und mit Esprit – zu einer bunten und vielfältigen Menschenmenge zu reden und vermitteln etwas von der ansteckenden Menschlichkeit des Jesus von Nazareth und seines Gottes. Und die Menschen finden sich darin wieder, sind im Innersten berührt, weil sie sinnstiftende, richtungsweisende Worte hören, die ihnen zum Leben helfen.

Komm, Heiliger Geist, so kann es auch heute gehen. Schenke unserer Kirche eine neue frische, begeisternde Sprache, die den Glauben neu zum Klingen bringt, die unsere Sehnsüchte, unser Suchen, unsere Fragen wahr nimmt, die uns und unser Leben ernst nimmt. Komm, Heiliger Geist, putz bei uns Staub!

(Barbara Kynast)

Eine neue Sprache

Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen -, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert.

Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.

(Dietrich Bonhoeffer)

Pfingstwunder

Vor hinter
über unter
neben zwischen
den Worten

vollzieht sich
das Unverfügbare
weht sein Geist
von weither

schafft Verstehen
mitten unter uns
mitten unter
uns Menschen

(Tina Willms)

Sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Dienstag, 26. Mai

„Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ (Jes 11,2)

Die Gaben des Heiligen Geistes – wichtige Lebensfragen für uns Menschen

Was ist wahr und was ist falsch? Was ist wichtig und was ist unwichtig? Wer hilft mir in meiner Ratlosigkeit? Bedeutet Stärke, seine Meinung zu vertreten oder bedeutet Stärke, Meinungen zuzulassen? Und überhaupt: Bestimmen Meinungen oder konkretes Wissen mein Denken? Wo sind meine Fähigkeiten? Setze ich sie ein? Ist Glaube aktives Handeln oder abwartendes Schweigen? Wem und wie zolle ich Respekt?

In all diesen Fragen steht – so verspricht es Jesus – der Heilige Geist als Beistand, als „guter Freund“ an unserer Seite.

„Der Heilige Geist, das ist der, der uns Menschen Mut macht, der uns durch seine Liebe, seine Zuwendung verwandelt, der das Gute und das Beste aus uns herauslockt. Das ist der, dessen Nähe uns heil machen kann, der uns trösten kann. Das ist etwas ganz Leises, Zartes, das auch geschützt werden will – und das mich doch kraftvoll umspielt. Es ist die Kraft und die Liebe Gottes, die mich umgibt – und in die ich mich hineinstellen darf. (...) Der Heilige Geist – der gute Freund, der uns nahe ist, der uns den Rücken freihält, dem wir uns zumuten dürfen. Der Freund, der uns zärtlich tröstet, wenn wir traurig sind, und der uns kraftvoll in den Wind stellt, wenn wir aufgerüttelt werden müssen. Ein guter Freund halt – und wahrscheinlich ist diese Freundschaft genauso schwierig zu beschreiben, wie eine gute Freundschaft zwischen Menschen.“

(Andrea Schwarz)

Gast

Ein toller Abend,
gelacht und geredet,

die Uhr völlig vergessen.
Mit müde glänzenden Augen

verabschiedet – auf Wiedersehen!
Ein wohliges Gefühl,
trotz aufzuräumender Küche.

Eine Ewigkeit her,
der letzte Besuch von Freunden.
Nähe auf Distanz.

Ein unverhoffter Gast kündigt sich an.
Warum sollte ich ihn hereinlassen?
Von neusten Erlebnissen erzählt er nicht,
über das Weltgeschehen diskutiert er nicht.

Eher leise und bedacht war er,
als ich ihn flüchtig kennenlernte.
Gut im Zuhören und Verstehen.

Ihm vielleicht doch einen Platz anbieten,
einmal das Herz ausschütten,
all die großen kleinen Sorgen und Zweifel,
in Herzenswinkeln schlummernd.

Einen Augenblick
der Nähe und Vertrautheit,
bleib doch noch etwas,
bevor es Zeit ist, wieder loszulassen.

Sein Gastgeschenk,
wohlig und leicht in mir
Herzenswärme, Lebensfreude, Dankbarkeit
– fast wie neulich

Komm, Heiliger Geist,
Gast der Herz und Sinn erfreut

(M. D. Schneider)

Sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Montag, 25. Mai

„Seid brennend im Geist.“ (Röm12,11)

Im Oktober 2017 hielt Jonas Wilzewski vor Abgeordneten des bayerischen Landtages die folgende Rede, bei der manchen Zuhörern wohl der Atem stockte:

„Kennst du das auch?

Wenn dir jemand so was in die Hand drückt und dann einfach verschwindet? „Halt mal kurz!“ – Zack! Und schon wird man’s nicht mehr los. Und dieser kurze Moment danach, wenn man nicht checkt, dass man ein Stück Müll in der Hand hat und nicht mehr weiß, was man damit anfangen soll?
Schämt ihr euch eigentlich? Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären unpolitisch! Wie stellt ihr euch das überhaupt vor? Ist doch klar, dass wir verwirrt sind: „Hey, herzlichen Glückwunsch zum achtzehnten (übrigens, schnell noch mal auf die Malediven fahren, bevor sie demnächst absaufen)“

Na Danke! Großartig!

Damit muss man erst einmal klarkommen. Und natürlich sehen wir das alles kommen, was da auf uns wartet. Kann man sich wirklich auf Europa verlassen? Warum sammelt die Oma Flaschen am Hauptbahnhof? Und was war das nochmal mit der sogenannten Willkommenskultur? Ja Mensch, da habt ihr uns echt mal begeistert – und Schwups! War’s wieder vorbei. Und ihr denkt, wir sind nur am daddeln ...
Könnt ihr bitte das Internet uns überlassen? Wieso macht ihr uns gläsern und speichert unsere Profile? Und wir fragen uns ernsthaft, wieso ein ranziges WG-Zimmer in München verdammte 500 Euro kostet! Nehmt ihr uns überhaupt ernst? Sollen wir euch abkaufen, dass ihr alles unter Kontrolle habt?

Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären unpolitisch!

Ihr denkt, wir sind faul und verweichlicht und verwöhnt und ohne Meinung und früher wart ihr natürlich viel cooler, wilder, rebellischer und habt viel mehr verändert. Entschuldigung!!?? Das ist nicht euer Ernst, oder?
Die Probleme, die ihr uns überlasst, sind tausendmal krasser als die Probleme eurer Jugend! OK: Der Ost-West-Konflikt war’n dickes Brett. Aber Klimawandel UND Artensterben UND Bevölkerungswachstum UND weltweite Fluchtbewegungen UND Aufrüstung UND Brexit UND große soziale Ungerechtigkeit UND UND UND UND UND UND – Das ist einfach too much. Und alles hängt mit allem zusammen; ist scheinbar nur global lösbar.

Und so stehen wir da mit diesem Scheiß Stück Müll in der Hand und wissen einfach nicht, was wir damit tun sollen. Wir wissen gar nicht, worüber wir uns zuerst aufregen sollen! Wir haben noch gar nicht angefangen. Wir denken noch nach und wir brauchen noch Zeit. Aber: Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären unpolitisch!“

Ist unsere Zivilisation gescheitert, weil sie eine solche Fülle von Problemen produziert, dass sie eigentlich in ihrem bisherigen Denken nur weiterkommt, indem sie die Augen vor den Schäden verschließt?

Vor 5 Jahren veröffentlichte Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si“. Darin schildert er seine Sichtweise auf die sozio-ökologische Krise unserer Welt.

Zu Beginn schreibt er:

„Diese Schwester (unsere Erde) schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern (...) Wir vergessen, dass wir selber Erde sind (vgl. Gen 2,7). Unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt, und sein Wasser belebt und erquickt uns.“

Aber der Papst betont auch seine Hoffnung auf das Wirken des Geistes, weil

„... der Heilige Geist eine unendliche Einfallskraft besitzt, die dem Denken Gottes eigen ist, der auch die Schwierigkeiten der kompliziertesten und undurchdringlichsten menschlichen Schicksale zu lösen weiß“.

Beten wir mit den Worten der Enzyklika:

Allmächtiger Gott,
der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist
und im kleinsten deiner Geschöpfe,
der du alles, was existiert,
mit deiner Zärtlichkeit umschließt,
gieße uns die Kraft deiner Liebe ein,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.
Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Brüder und Schwestern leben
und niemandem schaden.
Gott der Armen,
hilf uns,
die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
die so wertvoll sind in deinen Augen,
zu retten.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind
und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen
und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Rühre die Herzen derer an,
die nur Gewinn suchen
auf Kosten der Armen und der Erde.
Lehre uns,
den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen
auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.
Danke, dass du alle Tage bei uns bist.
Ermutige uns bitte in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

Sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Sonntag, 24. Mai

„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth“
(Sacharja 4,6)

Das Wort des Propheten Sacharja ...

... rückt unsere Erwartungen an die Wirkung des Heiligen Geistes zurecht. Wir neigen dazu, Gottes Geist als eine himmlische Form von „Heer oder Kraft“ herbeizusehnen. Eine alt gewordene Kirche träumt so gern von Begeisterung. Und wer müde geworden ist in seinen Hoffnungen und Zielen, wäre gerne mitgerissen von einer Energie, die er in sich selbst nicht mehr findet.

Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen.

Der Prophet Sacharja hat bei diesem Satz den Bau des Tempels in Jerusalem vor seinem geistigen Auge. Die babylonische Gefangenschaft war beendet, der Grundstein zum neuen Gotteshaus war gelegt, aber nun kam es zu Verzögerungen. Wie soll es weitergehen?

Nehmt euch Zeit, sagt dieser Satz, lasst Gottes Geist wirken, dieser Tempel soll euch nicht den Atem rauben, er soll vielmehr ein Inspirationsraum sein, euch aufatmen lassen. Kirche als ein Ort des Sich Zeit Nehmens, ein Ort, um Gottes Geist auf sich wirken lassen.

Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen.

Auch die Jüngerinnen und Jünger nahmen sich Zeit, ihre Aus-Zeit. Dann – zu Pfingsten – lernen sie, etwas wieder in die Hand zu nehmen, insbesondere ihr Herz und ihren Verstand. Geistreich, am richtigen Ort, zur rechten Zeit, mit verständlichen Worten reden sie öffentlich von Jesus Christus. Kein Kraftakt, sondern ein inneres Bedürfnis.

Die Gaben des Geistes

Im Außergewöhnlichen sehen wir dich,
kraftvoller, mächtiger Heiliger Geist,
in Sturm und Feuer,
in Verwandlung und Aufbruch,
im Leben außergewöhnlicher Menschen.

Hilf uns, dich im Verborgenen zu finden,
stiller, beständiger Heiliger Geit,
deine leisen Gaben zu entdecken
in unseren Mitmenschen – in uns selbst:

Die Gabe, Frieden zu stiften,
die Fähigkeit, zu begeistern,
die Kunst, die Wahrheit auszusprechen,
das Talent, gut zuhören zu können,
die Kunst, Kompliziertes einfach zu sagen,
die Gabe, ein ruhender Pol zu sein,
die Fähigkeit sich einzufühlen,
die Gabe der bergenden Mütterlichkeit,
die Gnade des kindlichen Staunens,
das Charisma des Humors.

Du bist die Chance zum Leben
für jeden von uns, Heiliger Geist.
Entfalte dein Wirken in uns,
das mächtige und das leise,
damit wir uns selber entdecken
und das Antlitz der Erde sich wandelt.

(aktion 365)

Komm, Heiliger Geist, bewege mich aus meinen Schablonen von Gott und der Welt heraus und hilf mir zu entdecken, was dein Reich unter uns voran bringt!
Sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Samstag, 23. Mai

„Ich gebe euch ein neues Herz, und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres.“
(Hesekiel 36,26)

Vor einigen Jahren ...

... stand auf dem Hungertuch einer Münchner Kirchengemeinde:
Bist Du bereit für Veränderung?
Und das „Du“ war so groß und so fett geschrieben, dass mehr als klar war, dass jeder sich persönlich durch dieses Hungertuch angesprochen fühlen sollte. Und die Frage wurde nicht nur einmal gestellt. Vor fast jeder Kirchenbank war ein Plakat mit dieser Frage aufgestellt: Bist Du bereit für Veränderung?

Bin ich das? Bin ich bereit für Veränderung?

Der Hammer Pfarrer Bernd Mönkebüscher nutzt das Bild vom sterbenden Weizenkorn und formuliert die folgenden Gedanken:

Aufbruch hat mit Sterben zu tun. Das Weizenkorn bricht auf, indem es stirbt. Ein Korn stirbt, damit viele neue Körner daraus werden können.

Wenn wir im Raum der Kirche beklagen, dass nichts Neues nachwächst, kann es sein, dass das damit zu tun hat, weil Nichts stirbt?
Neue Weizenkörner wachsen heran, wenn alte Körner sterben und aufbrechen. Während Jesus offensichtlich mit dem Wort vom sterbenden Weizenkorn die neue Frucht im Blick hat, das Wachsen, ist unser Blickwinkel eher das Ende.

„ ... wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“

Dieses Wort ist wie eine Sehhilfe: Es will uns dazu bewegen, im Tod aufbrechendes Leben zu sehen. Wir bedauern eher und mehr, was nicht mehr geht und nicht mehr ist – und lassen im Bedauern nicht los, sondern halten fest. Wir sagen: es geht ja noch. Und manches „noch“ verhindert den Aufbruch. Damit fällt kein Korn in die Erde. Das Korn, das nicht in die Erde fällt, hat sich wohl selbst bewahrt, aber es bleibt für sich, es wächst Nichts nach.

Was nutzt uns eine Kirche, die sich selbst bewahrt, wo aber Nichts nachwächst, Nichts aufbricht?

Was nutzt uns ein Glaube, den wir nur bewahren, oder nahezu inzüchtig für uns selbst leben, der aber nicht für Sterben und Aufbruch sorgt?

Wir pflegen unsere religiösen Formen, abgestimmt auf unsere eigenen Bedürfnisse wie Weizenkörner, die wir nicht sterben lassen. Selbst liebgewordene Gewohnheiten werden auf Dauer unfruchtbar, wenn wir sie nicht wie ein Weizenkorn in die Erde fallen lassen.

Bewahren ist weniger eine Tätigkeit des Glaubens als Aufbrechen.

Lothar Zenetti schreibt in einem seiner Gedichte:

Es ist nicht zu leugnen:
Was viele Jahrhunderte galt, schwindet dahin.
Der Glaube, höre ich sagen, verdunstet.
Glaube liegt in der Luft.

Gewiss, die wohlverschlossene Flasche
Könnte das Wasser bewahren.
Anders die offene Schale: Sie bietet es an.
Zugegeben, nach einiger Zeit findest du
trocken die Schale.
Das Wasser verschwand.

Aber merke: die Luft ist jetzt feucht.
Wenn Glaube verdunstet,
sprechen alle bekümmert von Verlust.
Und wer von uns wollte dem widersprechen?
Und doch: einige wagen trotz allem zu hoffen,
sie sagen:
Spürt ihr’s noch nicht?
Glaube liegt in der Luft!

Ja, Herr, sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.

Freitag, 22. Mai

Die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ...

... sind immer eine Zeit des Nachdenkens, des Gebetes. Gemeinsam mit den Jüngern sitzen wir im Obergemach – wie es in der Apostelgeschichte heißt – „wo sie eine Bleibe hatten“, und suchen nach Heimat für unseren Glauben, Sicherheit für unser Leben.

Geprägt durch das Corona Virus

Unser gesamtes Leben ist derzeit geprägt durch die Bedrohung durch das Corona Virus. Für manche von uns wäre eine Infektion lebensbedrohlich, für andere wäre sie ohne jede gesundheitliche Konsequenz. Dies führt zu Unsicherheit und Vorsicht, zu vielen Ängsten, aber auch zu ungeahnter Solidarität.

Verändert uns die Pandemie?

Aus der Geschichte kann man lernen, dass uns diese Erfahrung der Pandemie verändern könnte. Die Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney schreibt in ihrem Buch über die spanische Grippe im Jahre 1918, dass es dadurch „einen Riss gab, so gewaltsam wie die Teilung des Roten Meeres in der Bibel“.

Der Ausgang des Ersten Weltkrieges wurde durch die spanische Grippe genauso beeinflusst, wie das Aufkommen der Unabhängigkeitsbewegung in Indien oder das Zusammenwachsen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten in Brasilien.

Kunst, Musik und Architektur wurden dadurch verändert, genauso wie die Medizin, in die damals die Idee der Vorbeugung durch Hygiene, Sport und eine gesunde Ernährungsweise einzog.

Wie wird sich unsere Gesellschaft heute verändern?

Soll sie das überhaupt? Oder wollen wir jetzt nur möglichst schnell zu unserem gewohnten Lebensstil zurückkehren? Und was wollen wir als Kirche? Was wollen wir für unsere Kirche?

Diese Fragen stellte auch Bischof Heiner Wilmer aus Hildesheim in seiner diesjährigen Predigt am Karfreitag. Es lohnt sich seinen Gedanken zu folgen:

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

es ist Nacht, Dunkelheit auf der Erde. So beschreibt der Evangelist Matthäus, den wir Palmsonntag gehört haben, das Geschehen direkt vor dem Tode Jesu. Eine kosmische Nacht, eine existentielle Finsternis. Wir hören es heute in der Krise der Pandemie ganz neu. Ja, es ist Nacht: Nacht der Verzweiflung, der Trauer, der Ohnmacht – die Nacht der Angst. Ich versetze mich in die Krankenschwestern und Pfleger in New York, in die Soldatinnen und Soldaten in Bergamo, die die Särge abtransportieren, in die alten Menschen, die allein in einem Altenheim – wie in Wolfsburg – isoliert sind. In die Familien, die jemanden verloren haben, eine Mutter, einen Opa, eine Tochter. Es ist Nacht.

Und in dieser Nacht sind auch die ungezählten anderen dabei: Die Flüchtlinge auf Lesbos, die Hungernden in Afrika, die Verfolgten in China. Überall diese tiefe Nacht, überall diese existentielle Finsternis. Und das ist heute.

Aber es ist seine Nacht, er hängt in dieser Nacht, die mitten am Tag ist, am Kreuz, zwischen Himmel und Erde. Versteht die Welt nicht mehr. Und er schreit, er schreit vielleicht auch unseren Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ist Gott nicht mehr da? Stimmt die Zusage seiner Nähe etwa nicht? Denn das genau fragen wir auch. Wir leiden die Nacht, sind im Ungewissen. Sind wir verlassen? Ist alles verloren, alles zu Ende? Unser Schrei ist auch sein Schrei! Sein Schrei nimmt die Schreie auf, die wir in diesen Tagen hören. Es ist Nacht, wir schreien.

Der Evangelist Johannes, dessen Leidensgeschichte wir eben gehört haben, findet im Gekreuzigten genau dieses unendliche Paradox. Der, der die Quelle des lebendigen Wassers ist, der dürstet. Er spürt die Leere, die Trockenheit, die Ausgedörrtheit des Lebens. Es ist nichts mehr da. Fast nichts geht mehr.

Was wie ein äußerliches Ereignis kurz vor dem Tod scheint, ist doch auch ein Symbol für das Ende des Lebens. Sein Ende. Keine Kraft mehr. Keine Quelle für andere ist der, der es doch immer war, ist der, der daraus lebt.

Auch das ist Nacht: Gefangen zu sein, gefesselt, gekreuzigt und völlig ohnmächtig, voller Schmerz.

Und doch: Johannes sieht mehr, er beobachtet scharf, was hier gerade passiert. Jesus stiftet neue Gemeinschaft. Die Nacht der Verzweiflung und des Todes ist eine Geburtsstunde ganz anders als gedacht. Maria und Johannes werden Bild einer ganz neuen Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die aus dem Schmerz des Todes geboren wird.

Und ganz am Ende wird Jesus noch einmal Quelle. Er neigte das Haupt und übergab den Geist. Das ist eben nicht nur der letzte Hauch! Nein, das ist die Gabe des Geistes, der Beginn einer neuen Schöpfung.

„Sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.“

Das geschieht auch hier, so erfährt es Johannes, so erfährt es auch Matthäus. Er hat in seinem Evangelium von der Passion ein starkes Bild: Als Jesus stirbt, reißt der Vorhang des Tempels entzwei. Man kann gewissermaßen den Riss hören und spüren, und auch das bedeutet eben viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Es beschreibt das Ende, das Ende einer Zeit. Am Ende der Nacht, am Ende des Schreis, da zerbricht etwas Heiliges, da wird Neues geboren. Und so wird aus der Nacht, aus dem Schrei, aus dem Durst etwas Neues geboren, so wird die Passion ein Evangelium. Nicht nur dass unser Schrei, unser Durst, unsere Nacht, Jesu Schrei, sein Durst, seine Nacht ist. Mehr! Es ist etwas Neues, es entsteht eine neue Welt, neue Gemeinschaft erwächst, von neuem wird sein Geist uns eingehaucht.

Gilt das für uns heute in unserer Corona Nacht? Zerbricht die Gestalt der Kirche, die eigentlich schon länger am Ende war? Verlassen wir die Fokussierung auf den Tempel und lernen neu zu beten im Geist und in der Wahrheit? Wächst neue Gemeinschaft mit den Menschen unserer Zeit? Entdecken wir die Mystik des Zwischen, seine Gegenwart in den Begegnungen mit unseren Zeitgenossen? Werden wir überall und existentiell Kirche? Gesammelt in der Leidenschaft für den Geist und der Liebe? Dann ist der Karfreitag unserer gesellschaftlichen und kirchlichen Kulturen ein Aufbruch. Es bricht etwas auf, es wird weiter, es wächst in eine neue Zukunft. Oder um es mit Dietrich Bonhoeffer zu sagen: „Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme.“ Amen!

Windstoß

Da flogen die Türen auf,
und vom Winde verwehten
alle Tränen,
die Enge,
die Angst,
und herein fielen Licht,
Hoffnung in vielen Sprachen,
und die Weisheit sang:
Nur Mut!
(Catrina E. Schneider)

Ja, Herr, sende aus deinen Geist, und alles wird neu, und du wirst das Angesicht der Erde erneuen.